Maestro Roberto Laura: Magister

Was bewegt uns? Was berührt unsere Sinne, unser Herz? Weshalb neigt der Mensch zur Kunst? Und was ist Kunst, oder genauer, was macht ein Kampfsystem zur Kunstform? Diese und ähnliche Fragen erörterte ich zwar ausführlich in meinen ersten beiden Büchern über den italienischen Messerkampf Das Schwert des Volkes und Dialoghi, aber aus heutiger Betrachtungsweise tat ich das möglicherweise nicht vollständig. Zumindest fehlt die entscheidende Frage, weshalb wir uns bei Interesse für eine bestimmte Kampfkunst beispielsweise für den einen Lehrer entscheiden, nicht jedoch für den anderen. Und darauf folgend ergibt sich: Woran erkennt man einen guten Lehrer? Welche sind die notwendigen Kriterien? 

Betritt man unbekanntes Terrain, verfügt man über kaum bzw. keine qualifizierten Kenntnisse, um Gesehenes und Gehörtes abschließend beurteilen zu können. Ein Mensch, der selbst nie kämpfen musste, der sich bis dato weder geistig noch körperlich intensiv mit dem Kampf auseinandergesetzt hat, verfügt über keine validen Erfahrungswerte, um zwischen Kampf- und/oder Selbstverteidigungssystemen qualitativ unterscheiden zu können. Was taugt? Was ist unter Druck durchführbar? Was funktioniert, wenn keine Zeit zum Nachdenken bleibt? Wie will man solch Fragen auch beantworten, wenn die Erfahrung fehlt? Man kann ein unbekanntes Thema nicht deskriptiv behandeln, erst recht nicht normativ. Was also treibt uns „dahin oder dorthin“? Die fundierte Analyse in der Sache kann es nicht sein. 

Was dem angehenden Novizen bleibt, ist letztendlich und vornehmlich der Eindruck des Gesehenen und Gehörten, d.i. die Aufführung, das Spiel, all die Versprechen des Anbieters und die damit verbundene mögliche Erfüllung aller Hoffnungen, Präsentation und Marketing, Sympathie (für Lehrer und Mitschüler), die Nähe der Schule zum Wohnort sowie das vielgerühmte Hörensagen, das leider oft von Menschen stammt, die zuvor vor den gleichen analytischen Schwierigkeit standen, wie der künftige Neuling derzeit. 

Das Problem ist größer als es scheint: Um nämlich wirtschaftlich überleben zu können, müssen sich Lehrer für Kampfkunst gelegentlich dem Zeitgeist und, wie gerade derzeit, auch höherer Gewalt anpassen und ihr Hauptaugenmerk auf die Präsentation, auf den Schein der Kunst richten, nicht auf die Kunst als solche. Viel Zeit für beschauliches Nachdenken und geistiges Sichversenken bleibt dem Lehrer nicht. Doch beides wären Voraussetzungen für individuelles und qualitatives Wachstum wie auch für die Beseelung der Kunst durch die eigene Person. Durch äußeren Schein und Glanz mögen zwar Einnahmen und Ansehen wachsen, Lehrer und Mensch könnten aber schrumpfen. 

Kein Garant, aber ein Indiz, um einen kundigen und aufrichtigen Lehrer zu finden, mag mitunter der Vergleich mit dem Diamanten sein: durch Zeit und Druck gehärteter reiner, kubisch kristallisierter Kohlenstoff, der zumeist nicht leicht an der sonnigen Erdoberfläche aufzulesen ist, vielmehr erst durch mühseliges Graben und Wühlen in den tiefen und dunklen Erdschichten zum Vorschein kommt. So könnte der „Edelstein“ unter den Lehrern möglicherweise dort liegen, wohin kein Licht sich verirrt. Man müsste diesen Lehrer vielleicht in der Gosse suchen, wo es nach Blut, Schweiss und Dreck riecht; wo das Unwesentliche geächtet ist und nur die Essenz bleibt, oder besser: die Essenz der Essenz. 

Man denke sich das alles weg und schaue in das bloße Antlitz, in den ungeschminkten Menschen. Und wenn dann noch genug übrig bleibt, hat man vielleicht den gefunden, den man sucht. 

Roberto Laura, Lehrer für sizilianischen Messerkampf, Neckarsulm, 03.12.2020

 

Kennengelernt haben wir Maestro Roberto Laura im Juli 2017 bei seinem Lehrgang zum Thema Traditioneller italienischer Messerkampf. Von der ersten Sekunde an waren wir fasziniert von der Welt, in die er uns blicken ließ: neue Techniken & Taktiken und viele historische & kulturelle Informationen. Was uns darüber hinaus sehr berührt hat, war seine philosophische Betrachtung des Verhältnisses von Meister und Schüler. Wir freuen uns sehr, dass er für unsere Online-Akademie zu diesem Thema einen Gastbeitrag verfasst hat. 1000 Dank, Maestro Roberto!

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